Straßenexerzitien München September 2011 ein Tag in Dachau - Memento Shoah Zieh deine Schuhe aus, denn der Boden den du betrittst ist heilig - versus Foto-Shooting in der Gaskammer

02.04.2019

Mit vielen Touristen führt mich mein Weg durch die Gedenkstätte Dachau. Zu Beginn haben mich die Infotafeln und Bilder noch in den Bann gezogen bis zu einem Moment der Meditation in der Versöhnungskapelle. Dort eine weiße Rose und 12 Teelichtern vor dem Kreuz meditierend, hörte ich den Wiederhall von Schritten auf den Betonboden der schlichten Kirche. Eine Assoziation mit den Soldaten-stiefeln die vor über 70 Jahren hier marschierten, lassen mich meine Schuhe ausziehen und von nun an barfuß und leise den Weg durch das KZ suchen.

"Zieh deine Schuhe aus, denn der Boden den du betrittst ist heilig!"

Schuhe                                           Boden
geben Schutz                                asphaltierte Straße
halten Füße rein                            grober steiniger Weg
schenken Halt und Sicherheit      matschig, feucht, dornig spitz
bewahrend                                    verletzend

heilig                                              ausziehen
etwas besonderes                        Sicherheit aufgeben
etwas nicht alltägliches                mich schutzlos ausliefern
was mir viel wert                           nicht schnell fliehen können
wertschätzend                              vorsichtig

barfuß
intensiv spüren
die Straße fühlen
den heiligen Boden erfahren
ehrfürchtig

Barfuß auf der Suche nach Gott auf einem Weg des Leidens vieler Juden, Kommunisten und anderer nicht geduldeter Menschen der nationalsozialistischen Ideologie - komme ich ins Zentrum des Vernichtungslagers, erlebe zwei Foto-Shootings mit "Verbrennungsofen" und Portraits im fotographisch perfekt ausgeleuchteten Brausebad. - Stumm, sprachlos und ohne Worte zieht es mich in die Hocke - bin fassungslos - wo bleibt die Ehrfurcht das memento shoah?

Brausebad                                       Krematorium
Menschen betrogen                        Spuren verwischt
der würde beraubt                          den Leib vernichtet
in den Tod geschickt                       Gott in den Flammen
eiskalt                                                schweigen

Fluss                                                  Mahnmal
was bleibt                                          Toten gedenken
wer erinnert sich                                Ort der Erinnerung
dem Strom Asche übergeben          darf nie wieder geschehen
würdelos                                            bedenken

"Leben (Dachau 1933) .... ich werde es ertragen, denn noch ist mir das Hoffen nicht zerbrochen
doch höre ich die Stimme, die in mir spricht; Du musst es ertragen.

Dachau (1940) .... was ich zuweilen kaum zu hoffen wagte, schenkst du mir, gute stille Nacht.
Es hat mir oft ein gütiger Traum gebracht, s mir die Sonne, mir der Tag sagte." (Aus der Notiz eines Häftlings)

Eloi, eloi lama sabatani

wo                                                         wo
bist du                                                   bist du
du mein Gott                                         du mein Gott
in diesen dunklen Stunden                  in meinem brutalen Leid
Verlassen                                              Verzweiflung

wieso                                                     wieso
kommst du                                            muss ich
du mein Gott                                         du mein Gott
nicht in diese Finsternis                        all diese Schmach ertragen
Anklage                                                 Klage

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinen Schreien, den Worten meiner Klage?" (Psalm 22)

warum                                                    wo
mein Gott                                               mein Gott
hast mich verlassen                               bist du heute
mir geliebte Menschen genommen      höre keine stillen Worte
Tod                                                          Klage

warum                                                     wo
mein Gott                                                mein Gott
hast mir genommen                               bist du nachts
die dich lobende Worte                         in meinen schlaflosen Träumen
Stille                                                        Sehnsucht

warum                                                     wo
mein Gott                                                mein Gott
hast mich geleitet                                   bist du morgens
im Leben mit Dissonanzen                    begleitest du meine Wege
Schmerzen                                             Flehen
"Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde." (Joh.3,16f)

Versöhnung                                           Versöhnung
weiße Rose                                            hören empfinden
die Liebe trägt                                        Ort der Stille
zwölf Lichter der Erinnerung                 laute Schritte hallen durch
bewahren                                               Lederstiefel

Versöhnung                                           Versöhnung
ein Neuanfang                                       mit Vergangenem
die Liebe lebt Stubenboden                 blitzblank geschrubbt
einander die Hände reichen                 "Diele nur barfuß betreten"
beginnen                                                rein

Barfuß gehen - über genau den Boden der Shoah - über genau die Wege, die Häftlinge zurücklegen mussten - über zwei Stunden feuchte weiche Wiese, harter warmer Asphalt, kühler Beton, raue Holzdielen und spitze Steine ertaste ich intensiv und ungewohnt schmerzend. Wie mag es sein bei sengender Hitze, oder bei Eis und Schnee ohne Schuhe zu laufen durch den Dreck des Lagers mit schmutzigen wunden Fußsohlen, ohne warmes Wasser zum Waschen?

Ich trage die Sandalen und erhalte Blick des Unverständnisses. Was macht der da? Gefragt hat niemand - Ich tauche die Füße in den Fluss. Das Wasser kühlt und reinigt, heutzutage ohne Asche.

Dankbar bin ich für die Erfahrung, das Spüren des barfußgehen an jedem Tag der Straßenexerzitien.